Schon ein leicht unkontrolliertes Spiel lässt den Orchesterklang zu laut werden. Andererseits will jedes Orchester gar zu gerne im einzigartigen Sound dieser perfekt instrumentierten Partitur baden und verliert dabei zu gerne die Selbstbeherrschung. Das ist die Grundschwierigkeit dieses Einakters, der mit einer dramatischen Wucht einsetzt, dass man schon nach den ersten Tön entweder mitgerissen oder abgestoßen wird. In Braunschweig wurde man als Hörer geradezu überrumpelt. Strauss und sein dirigentischer Sachwalter Srba Dinic lassen dem Zuhörer keine Chance. Sofort werden ihm die oftmals brutalen Klänge so um die Ohren gehauen, dass man zwangsläufig hineingezogen wird in das blutrünstige Geschehen um den Rachefluch der Atriden. Dass es dabei immer wieder mal zu laut wird: Geschenkt. Dinic lässt äußerst ausdrucksintensiv und mit einem nie enden wollenden Spannungsbogen spielen und hat dabei sein trotzdem transparent aufspielendes Orchester auf ein staunenswertes Niveau gebracht.
Agamemnon gilt es zu rächen. Das musikalische Dreiklangsmotiv des Agamemnon ist vom ersten Moment an genauso präsent in der Musik wie der Rachewahn seiner Tochter Elektra gesungen und gespielt von Maita Hundeling. Diese Sängerin ist eine Entdeckung, die nicht nur ob ihrer musikalischen Gestaltungskraft und nie versiegender Stimmkraft fasziniert sondern auch durch ihre darstellerischen Fähigkeiten. Wie ein archaisches menschliches Urtier agiert Hundeling, bleibt aber dabei doch differenziert bis ins Detail. Regisseurin Adriana Altaras hat da in der Personenführung Sensationelles geleistet. Wie in jedem Moment neue Faceetten dieser Figur gezeigt werden bis hin zu fast inzestuösen Momenten, in denen die doppeldeutige Liebe zu ihren Geschwistern Chrysothemis und Orest deutlich wird, das war große Kunst. Dass die von Johanni van Oostrum fast genauso eindrucksvoll gesungene und gespielte Schwester in ihrer weiblichen Weichheit bedingt durch den musikalischen Dauerfuror der Aufführung etwas kurz kam an diesem Abend, das war vielleicht ein Wermutstropfen. Dafür gelang die Begegnung zwischen Elektra und ihrem Bruder Orest so innig, dass man kaum den Ohren traute. Da betörte Hundeling durch berückend schöne Töne, die wie eine Oase der scheinbaren Besinnung wirkten.
Statt vor einem Palast spielte die Braunschweiger „Elektra“ vor einem Berg farbiger Kleidungsstücke: Optisch hatte das einen großen Reiz, der Sinn jedoch erschloss sich nicht recht. Dafür aber wirkte der problematische Schluss umso zwingender. Nachdem die Rache gelungen ist, wird die bis dahin in Männerkleidung entweiblichte Elektra zur schönen Frau. Nun steht sie wie erlöst im Kleid da und lächelt. Irritierend und faszinierend. Wie die ganze Aufführung, die unbedingt erlebenswert ist.
Von Reinald Hanke